Strategien kultureller Inwertsetzung von historischen Traditionen und Überresten.

Urban heritage in Barcelona, Manchester/Liverpool, Breslau und Berlin

Dieses Teilprojekt widmet sich der kritischen Überprüfung und Explikation der von David Lowenthal formulierten These, dass ‚History‘ und ‚Heritage‘ in einem spannungsreichen, häufig sogar antagonistischen Verhältnis zueinander stehen (Löwenthal 2000) und bricht dabei das umfassende Gesamtthema auf den sehr prominenten Teilaspekt des urban heritage herunter. Für das Gesamtprojekt gewinnt diese Teilstudie insofern grundlegenden Charakter, als am gewählten Teilbereich generelle Fragen des Konstruktions- und Aneignungscharakters von cultural heritage empirisch durchdekliniert und theoretisch reflektiert werden. Darüber hinaus verknüpft es das Gesamtprojekt durch die internationale Vergleichsebene mit den Ergebnissen internationaler Forschungen zu kulturellem Erbe und verweist auf die über nationale Grenzen hinausreichende Präsenz des Phänomens cultural heritage.

Leitung

Projektbeschreibung

Cultural heritage ist, was wir dafür halten oder was uns überzeugend als solches präsentiert wird. In diesem Sinne analysiert diese Teilstudie die Vorstellungen von cultural heritage am Beispiel von sechs europäischen Metropolen, wie durch unterschiedliche Akteure mit kollektiv konstruiertem ‚kulturellem Kapital‘ aufgeladene (Selbst)Repräsentationen europäischer Metropolen im 21. Jahrhundert generiert, verhandelt und kommuniziert werden. Das Teilprojekt 1 „Urban Heritage“ bezieht sich auf Barcelona, Berlin, Breslau, Liverpool und Manchester als ausgewählte Fallbeispiele.

Außerdem wird im Rahmen einer als Beitrag zur ‚Neuen Kulturgeschichte‘ angelegten historischen Diskursanalyse vor allem analysiert, welche Akteure (Stadtverwaltung, Tourismusmanager/innen, kulturwissenschaftliche professionals in Museen, Archiven und kulturellen Einrichtungen sowie andere Akteure städtischer Imagepolitik, Historiker/innen, Verfasser/innen von Reiseliteratur usw.) unter Nutzung unterschiedlicher Mittel und Medien an der Inwertsetzung von urban heritage mitwirken bzw. als kritisches Korrektiv fungieren. Gefragt wird, mit welchen Strategien, Instrumenten und Folgewirkungen deutungsmächtige Interpretationen über Vergangenheit entwickelt werden und auf diesem Wege cultural heritage als Ressource für städtische Entwicklung genutzt bzw. für ein effizientes Stadtmarketing instrumentalisiert wird.

Teilergebnisse und Präsentationen

Auf den Spuren des "Mythos Berlin" – heritage als soziale Praxis in der deutschen Hauptstadt. Ein kurzer Forschungsbericht

Der permanente Wandel sei es, der Berlin ausmache, wusste der Kunstkritiker und Publizist Karl Scheffler Anfang des 20. Jahrhunderts. Und wenn man sich in der deutschen Hauptstadt umschaut, kommt man nicht umhin, Scheffler irgendwie Recht zu geben: Die Stadt ist eine einzige Baustelle – und wer tief genug gräbt, der findet noch allerhand Spuren der bewegten Geschichte Berlins. Dabei wird die Vergangenheit durch die BerlinerInnen immer wieder neu interpretiert, je nachdem, wie sich die Einwohner ihre Stadt sozial aneignen (wollen). Kulturerbe ist dabei sowohl Objekt als auch vielschichtiges Ergebnis sozialer Praxen von Zuschreibungen. Im Zentrum der Berliner Teilstudie stehen demnach die vieldeutigen Aneignungsprozesse von Stadtgeschichte.

Unterschiedliche Perspektiven auf dieses Thema einzufangen, das bestimmte einen großen Teil der Arbeit im ersten halben Jahr seit Beginn des Projekts. Expertinnen und Experten kamen zu Wort, die sich mit Kulturerbe aus wissenschaftlicher, denkmalpflegerischer, wirtschaftlich-touristischer und zivilgesellschaftlicher Sicht auseinandersetzen. Davon ausgehend wurden erste Orte und Themen ermittelt, die für eine weitere Tiefenbohrung geeignet erscheinen: so zum Beispiel die (historische) Berliner Stadtmitte, die Überreste der Berliner Mauer, die Hinterlassenschaften von Kolonialismus, Nationalsozialismus und DDR und andere mehr.

Urban Heritage: Berlin und Breslau

Teammitglieder des IDD-Verbundprojekts „Cultural Heritage als Ressource“ erforschen Breslau

„Diese Stadt ist etwas Besonderes“, sagt Andrej Fober. „Man fühlt sich wie in einer anderen Welt.“ Fober, Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Breslau, muss es wissen – lebt er doch bereits seit 16 Jahren in der schlesischen Metropole. Wegen ihrer durch Polen, Preußen und die Habsburger geprägten Geschichte, ihrer zentralen Lage in Europa und einer spannenden Mischung unterschiedlicher Nationalitäten hat die Europäische Union Breslau/Wrocław nicht umsonst den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2016“ verliehen. Grund genug für das Team des Teilprojekts „Urban Heritage“ zum Auftakt des IDD-Verbundprojekts „Cultural Heritage als Ressource“ nicht nur Pfarrer Fober einen Besuch abzustatten, sondern sich auch selbst ein Bild zu machen, mit den Einwohnern ins Gespräch zu kommen und – natürlich – die polnische Küche zu genießen.

Die drei Tage vor Ort wurden dabei gut genutzt: Neben der Universitätsbibliothek, der Touristeninformation und dem Informationsbüro zum Kulturhauptstadtjahr waren es vor allem die Expertengespräche mit Breslauer WissenschaftlerInnen und Kulturschaffenden, die den Kern der Exkursion bildeten.

Neben den jeweils persönlichen Zugängen zur Stadtgeschichte warfen die ExpertInnen ganz unterschiedliche Schlaglichter auf den Umgang mit dem Breslauer Kulturerbe in Vergangenheit und Gegenwart. Zusammen formten die Gespräche einen gelungenen thematischen Einstieg mit jeder Menge Ansatzpunkten für die weitere Forschung im Projekt. Abgerundet wurde der Aufenthalt mit einer Führung durch die gerade erst eröffnete Ausstellung „Wrocław 1945-2016“ im Centrum Historii Zajezdnia, einem zum Museum umgebauten ehemaligen Straßenbahndepot, in dem die Streikbewegung der Solidarnosc in Breslau begann und wo der Besucher in die vergangenen 70 Jahre einer bewegten Breslauer Zeitgeschichte zurückversetzt wird.